Go West

Prolog

2009 packte meine „Chefin“ und mich die Erkennt­nis, dass auch unser Leben nicht ewig dauern wird. Also beschlossen wir zu reisen, solange wir noch die Gelegenheit dazu haben. „Go West!“, wie die Siedler vor Jahrhunderten sagten, wenn sie aufbrachen. Die USA sollten es werden, konkret der Südwesten.

Während unserer Reisevorbereitungen stellten wir fest, dass auch zwei Freunde – Miro Nikolic und Werner Hörhann – grundsätzlich das gleiche Ziel hatten. Mit ein paar Abweichungen zwar, aber auch sie bereisten, wenige Wochen vor uns, hauptsächlich Kalifornien mit kleinen Abstechern nach Nevada, Utah, Colorado, Arizona und New Mexico.

Ein gemeinsames Buch und vier folgende waren das Resultat. Diese fünf Bücher vereinen mittlerweile fünf Reisen von vier Personen zu einer einzigen Route. Der erste Abschnitt führt uns von San Francisco bis Las Vegas. Hier siehst du alle unsere USA-Routen zu einer vereint:

Go West! Diese Übersichtkarte zeigt unsere Reiserouten im Westen und hauptsächlich Südwesten der USA, die auch in unseren Büchern beschrieben werden.
Diese Übersichtkarte zeigt unsere Reiserouten im Westen und hauptsächlich Südwesten der USA, die auch in unseren Büchern beschrieben werden.

Die in den folgenden Kapiteln beschriebene Route siehst du hier:

Eine etwas detailliertere Darstellung der Route, die in diesem Abschnitt beschrieben wird.
Eine etwas detailliertere Darstellung der Route, die in diesem Abschnitt beschrieben wird.

Noch ein paar Anmerkungen: Vergiss, was du bisher über die USA gehört oder gelesen hast. Es ist – zumindest im Südwesten – alles anders. Der Himmel über Kalifornien ist blauer und in allen Schattierungen anzutreffen, von Cyan bis tief Ultramarinblau. Sogar die Wolken sehen anders aus, ganz besonders im Death Valley.

Die Dimensionen sind in jeder Hinsicht gewaltig! Das formt auch die Menschen, die dort leben. Sie sind großzügig und durchwegs freundlich, meist mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Möglicherweise kommt dieses Grinsen auch vom Wetter in diesen Gegenden.

Diese Menschen gehen aber - bei aller Großzügigkeit oder gerade deshalb – auch im großstädtischen Bereich selten zu Fuß. Warum? Das begreifst du erst, wenn du drüben bist und nach einem Restaurant fragst. „Next block left and there you are.“ bedeutet „Nach 800 m links abbiegen, dann sind es nur mehr 1,6 km.“ Diese „Übersetzung“ solltest du dir merken. Wir hatten sie leider nicht von Beginn an im Kopf.

In Großstädten sind die meisten Straßen vier- bis sechsspurige Einbahnen, die mit ebensolchen Querstraßen zu einem Muster verwoben sind. Kreis­verkehre sehen wir nicht, dafür aber Hinweis­schilder, die beim Blockieren von Kreuzungen durch einfahrende Autos hohe Strafen versprechen. Und Versprechen werden im Südwesten gehalten: Blockierer werden per Videokamera erfasst, die Strafen direkt bis zum Drucker durchgereicht.

Und wir sehen Kreuzungen, an deren vier Kreuzungspunkten jeweils eine Stopp­tafel steht. Jeder Autofahrer bleibt an solchen Kreuzungen stehen. Und zwar wirklich, nicht nur alibihalber. Wer als Erster stehen geblieben ist, fährt auch als Erster wieder los. Funktioniert reibungslos. Das wäre bei uns Chaos pur, aber im Südwesten wird nicht gestresst und gedrängelt.

Es gibt zwar auch in den Staaten Hinweistafeln, rechts zu fahren („Slow traffic – keep right!“), allerdings auch das Recht, rechts oder links vorbeizufahren, falls diese nicht beachtet werden. Und keiner gibt Gas, um die Lücke zuzumachen, wenn du den Blinker betätigst. Be cool. Leben und leben lassen. Wenn du von so einer Reise zurückkommst, greifst du dir ob der Manieren in unseren Landen an den Kopf.

Die Reisen waren jedenfalls trotz kleinerer oder größerer Probleme (siehe im Buchinneren) grandios. Wir haben richtig Fernweh. Wahrscheinlich werden wir auf unsere alten Tage noch zu Globetrottern. Zwei Haken hat dieser Bericht allerdings: Er kann trotz allen Bemühens nur kleine Ausschnitte unserer Wahrnehmungen zeigen. Und er kann süchtig machen.

Go West! Die Reise beginnt

Hurra, es ist so weit! Die Koffer sind gepackt. Wir wollen beim nahegelegenen Terminal Wien-Mitte einchecken und das Gepäck aufgeben, um am nächsten Tag die Reise unbeschwert antreten zu können.

Dazu sagt die offizielle Webseite wörtlich: „Der City Check-In wird mittlerweile für 80 Prozent der Airlines, die am Flughafen Wien verkehren, angeboten. Dabei können CAT-Kundinnen und -Kunden ihr Gepäck bereits im City Air Terminal am Bahnhof Wien-Mitte einchecken und ihre Bordkarte lösen. Der Check-In ist an einem der vier Schalter ab 18 Uhr des Vorabends und bis zu 75 Minuten vor Abflug möglich.“

Zu den 80% der Fluglinien, für die ein Check-in bereits in Wien-Mitte möglich ist, gehört die KLM aber nicht. Auch nicht die Air France oder andere Linien der Air France-Gruppe. Anscheinend sind das ohnehin nur ganz unbedeutende Airlines. Die KLM ist trotzdem unsere erste Wahl. Ein Anruf bei der KLM ergibt: Die Gepäckaufgabe am Flughafenterminal ist bereits am Tag vor dem Flug möglich. Wenigstens ein wenig Erleichterung für den Reisetag, wenn auch der Weg zum Flughafen zweimal gefahren werden muss.

Am Flughafen beim Check-in folgt die Ernüchterung: Schon am Tag vorher, ja, aber doch nicht mittags! Also am Nachmittag nochmals zum Flughafen. Dann sind wir unsere Hauptlast, bestehend aus drei Koffern, endlich los. Ja, das ist schon recht wörtlich gemeint, wie wir allerdings erst später erfahren werden.

Am nächsten Tag frühmorgens rein in den Flieger, in Amsterdam Schipol ist ein Zwischenstopp mit Umsteigen vorgesehen. Dort erhaschen wir ein Sonderangebot mit zweimal „Hugo“ von Boss, in Eau de Toilette gehalten und im Plastikbeutel verschweißt. Der Plastikbeutel verschwindet vorerst in der Ablage für das Handgepäck. Und dort bleibt er dann auch. Wiederum wörtlich zu nehmen.

Fluglinien sind mittlerweile imstande, Passagiere auf engsten Raum einzuschlichten.
Fluglinien sind mittlerweile imstande, Passagiere auf engsten Raum einzuschlichten. Im Flugzeug ist es also eng. Zu eng für Menschen wie mich. Mit der Sitzbreite käme ich ja noch zurecht, aber wo ist Platz für die Knie eines Zwei­meter­mannes?
Stehplätze sind im Flugzeug Mangelware, aber wenn man kurz die Agenden einer Stewardess übernimmt...
Stehplätze sind im Flugzeug Mangelware, aber wenn man kurz die Agenden einer Stewardess übernimmt…

Der Flug selbst ist vorwiegend lang, von Schlaflosigkeit gekennzeichnet und sehr beengend. Sehr eng für Menschen wie mich. Mit der Sitzbreite käme ich ja noch zurecht, aber wo ist Platz für die Knie eines Zwei­-Meter­-Mannes? Der Flug ist für uns aber eine gute Gelegenheit, uns ein wenig mit dem Zielgebiet auseinanderzusetzen.

Die Aussicht durch die Kabinen­fenster ist zwar nahezu berauschend, mindert aber meinen Schmerz nur unwesentlich.
Die Aussicht durch die Kabinen­fenster ist zwar nahezu berauschend, mindert aber meinen Schmerz nur unwesentlich.

Das Land der Verheißung

Wenn wir vom „Südwesten der Vereinigten Staaten“ sprechen, so erkennen viele Menschen oft nur den Bundesstaat Kalifornien mit seinen Großstädten San Francisco, Los Angeles und meist auch noch San Diego.

Wenigen Menschen ist bewusst, dass dieser Teil erst 1848 zu Amerika kam (siehe Infokasten unterhalb). Und noch weniger bekannt ist, dass Alta California, das heute als Bundesstaat der USA nur mehr California heißt, damals weit größer war als heute.

Rot eingefärbt das „Alta California“, wie es bis 1848 an die USA abgetreten bzw. verkauft wurde: Ein großer Teil wurde später auf die US-Bundesstaaten Arizona, Nevada, Utah, Colorado, Wyoming und New Mexico aufgeteilt. Die Karte entstammt Wikipedia (© Giggette / Wikimedia Commons / CC-BY-SA-3.0 [or Free Art License])
Rot eingefärbt das „Alta California“, wie es bis 1848 an die USA abgetreten bzw. verkauft wurde: Ein großer Teil wurde später auf die US-Bundesstaaten Arizona, Nevada, Utah, Colorado, Wyoming und New Mexico aufgeteilt. Die Karte entstammt Wikipedia (© Giggette / Wikimedia Commons / CC-BY-SA-3.0 [or Free Art License])
Diese Karte von Kalifornien wurde einer Ausgabe des National Atlas of the United States entnommen und zeigt den heutigen Bundesstaat Kalifornien. Wie fast alle Werke der U.S. Bundes­regierung sind Arbeiten aus dem National Atlas Allgemeingut und lizenzfrei verwendbar.
Diese Karte von Kalifornien wurde einer Ausgabe des National Atlas of the United States entnommen und zeigt den heutigen Bundesstaat Kalifornien. Wie fast alle Werke der U.S. Bundes­regierung sind auch Arbeiten aus dem National Atlas Allgemeingut und lizenzfrei verwendbar.

Die Geschichte Kaliforniens

Die Entdeckung Kaliforniens durch den Spanier Juan Ro­drí­­guez Cabrillo erfolgte 1542. Die von Süden vordringenden Spanier hielten Kalifornien damals noch für eine Insel, die sie dem amerikanischen Kontinent westlich vorgelagert und durch die heute als „Golf of California“ bezeichnete Wasserstraße vom Festland getrennt vermuteten. Diese Auffassung, die auch heute noch verständlich erscheint, hielt sich bis ins 18. Jahrhundert.

Besiedelt war das Gebiet aber bereits seit deutlich mehr als 10.000 Jahren. Beim Eintreffen der Spanier waren auf dem heutigen Gebiet Kaliforniens zehn Stämme (und Sprachfamilien) vertreten: Chumash, Maidu, Miwok, Modoc, Mohave, Ohlone, Pomo, Shasta, Tongva und Wintu.

Die ersten Europäer kamen, wie schon erwähnt, bereits im 16. Jahrhundert. Aber erst im Jahr  1697 errichtete der Missionar Juan Maria de Salvatierra im Zuge der vom spanischen König beschlossenen Kolonisierung die „Misión de Nuestra Señora de Loreto Conchó“, die erste permanente Missionsstation in Baja California Sur. Bis 1767 wurden 15 jesuitische Missionen errichtet, die über das historische Kalifornien (siehe Karte auf der vorherigen Seite) verteilt waren. California war damals Teil des Vizekönigreichs von Neuspanien, nach dem Mexikanischen Unabhängigkeitskrieg dann Teil Mexikos.

Schnitt! Zeitsprung in die Mitte des 19.  Jahrhunderts: Der Mexikanisch-Amerikanische Krieg von 1846-48 ging für Mexiko verloren. Der Vertrag von Guadalupe Hidalgo vom 2. Februar 1848 beendete den Krieg. In dieser Stadt – nur wenige Kilometer nördlich von Mexico City gelegen – unterzeichneten ihn Vertreter beider Länder auf dem Altar der alten Kathedrale. Er wurde am 10. März 1848 vom Senat der Vereinigten Staaten sowie am 19. Mai  desselben Jahres von der mexikanischen Regierung ratifiziert.

Der Vertrag verlegte die Grenze von Texas an den Rio Grande. Der Norden Kaliforniens („Oberkalifornien“) und das gesamte Gebiet zwischen Texas und Kalifor­nien wurde US-amerikanisch. So erhielten die Vereinigten Staaten von Amerika mehr als die Hälfte des damaligen mexikanischen Staatsgebiets, die zuvor aber schon kaum von Mexiko unter Kontrolle gehalten werden konnte: Kalifornien, Arizona, Neu-Mexiko, Utah, Nevada, Texas und einen Teil von Colorado und Wyoming.

Als Gegenleistung zahlten die USA an Mexiko 15 Mio. Dollar (aktueller Wert etwa 450  Mio.  USD). Die Vereinig­ten Staaten stimmten außerdem zu, alle Schulden Mexikos bei Amerikanern zu übernehmen und auszuzahlen. Dafür waren weitere 3,25  Mio.  USD nötig. 1853 erwarben die Vereinigten Staaten noch einige weitere Gebiete von Mexiko und etablierten die Grenze auf der bis heute gültigen Linie.

Der Vertrag von Guadalupe Hidalgo gab zudem den Me­xi­ka­nern, die jetzt im Südwesten der USA lebten, die Möglichkeit, entweder nach Mexi­­ko auszuwandern oder die US-amerikanische Staatsangehörigkeit anzunehmen. Die meisten von ihnen wählten die US-Staatsbürgerschaft.

Im Jänner 1848, nach dem Amerikanisch-Mexikanischen Krieg, aber noch vor dem Vertrag von Guadalupe Hidalgo, kam der Gold­rausch. In diesen Jahren der Aufbruchsstimmung wollte alles, was Beine hatte, nach Kalifornien. Die Europäer bildeten schnell die Übermacht in dem noch jungen Staat. Die indianische Bevölkerung wurde dabei fast vollständig ausgerottet oder zur Assimilierung gezwungen.

Dem Ruf des Goldes folgend zogen sehr viele Menschen an die amerikanische Westküste und die Bevölkerung wuchs schnell. Nach dem Amerikanischen Bürgerkrieg übersiedelten auch sehr viele Chinesen nach Kalifornien, die zuvor am Bau der ersten transkontinentalen Eisenbahn gearbeitet hatten, was auch zeitweilig zu Rassenunruhen führte.

Am 9.  September 1850 trat Kalifornien als 31.  Staat den Vereinigten Staaten von Amerika bei. 1854 wurde Sacramento zur Hauptstadt des jungen Bundesstaates. Im 20. Jahrhundert wurde in Kalifornien Öl gefunden, was die Wirtschaft erneut beflügelte. Danach folgte ein Boom, der durch das Aufkommen des Kinofilms verursacht wurde. Bis heute ist Hollywood eines der wichtigsten Zentren der internationalen Filmindustrie.

Im Zweiten Weltkrieg dienten die Häfen Kaliforniens als bedeutendste Basen für Truppentransporte und Materiallieferungen für den Pazifikkrieg, Kalifornien wurde so zu einem Zentrum der Luftfahrt- und Rüstungsindustrie. Nach Kriegsende sah Kalifornien den Aufstieg neuer Jugend- und Protestkulturen, wie z.B. der Hippie-Kultur. Auf wirtschaftlicher Seite begann der Siegeszug der Hochtechnologiebranche, der das Silicon Valley zum Zentrum des Informationszeit­alters machte.

Ankunft

Nach fünfzehn Flugstunden insgesamt sind wir wieder im Hier und Jetzt angelangt. Die Landung am San Francisco International Airport (SFO) erfolgt um 13:20 Uhr Ortszeit (1:20 pm Pacific Timezone).

Am Flughafen ist dann Schluss mit lustig. Auch eineinviertel Stunden nach Ankunft sind unsere Koffer noch immer nicht am Förderband. Nachfrage beim KLM-Schalter: „Oh, Mr. Vinzett, nice to see you! I have called you an hour ago!“ Was, wie? „Ja, habe ‚Mr. Vinzett‘ ausgerufen, schon vor einer Stunde.“ Aha, und woraus hätte ich schließen sollen, dass mit „Vinzett“ ich gemeint war? Mein Name ist Weinzettl. „Yes, Mr. Vinzett, I know.“ Seufz.

Unsere Koffer waren in Wien vergessen worden. Man würde sie uns heute noch direkt ins Hotel zustellen. Sollte das nicht klappen, so möge ich mich doch am nächsten Tag wieder bei ihm selbst, unserem KLM-Kundenbetreuer, telefonisch melden. Hochoffizielles Überreichen von Name und Telefonnummer, da kann nichts mehr schief gehen. Für Insider: Wer die Geschichte vom Grillteller in der Steiermark kennt, weiß, was diese Worte bedeuten.

Beim Auspacken unseres Handgepäcks bemerken wir, dass nicht nur unsere Koffer verschwunden sind. Beide Hugos, die von Boss, haben wir im Flieger vergessen. Ahhh!

Trotzdem geht es jetzt mal mit einem Sammeltaxi nach San Francisco. Der Kleinbus ist ein wenig über seinem projektierten Lebensende, fährt aber gerade noch. Einen Mietwagen haben wir zwar bereits in Wien geordert, aber erst für den Tag vor unserer Weiterreise. „In San Francisco braucht Ihr kein Auto.“ Ich glaube nie wieder, was man mir sagt.

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